Ratgeber Sportmedizin

Unsere Muskulatur: weit mehr als ein Haltungs- und Bewegungsorgan

Gernot Poerner zoom Unsere Skelettmuskulatur besteht aus ca. 650 verschiedenen Muskeln. Sie macht bei normalgewichtigen Männern und Frauen etwa 40 Prozent bzw. 35 Prozent der Körpermasse aus und ist damit mit Abstand unser größtes Organ überhaupt.

In der Vergangenheit wurde unsere Skelettmuskulatur oft auf ihre Funktionen für Körperhaltung und Bewegung und als Kohlenhydratspeicher reduziert. Doch sie hat noch weitere Funktionen. Die wichtigsten sind:

Körperhaltung

Nur durch eine gut ausgebildete Muskulatur ist eine gute und aufrechte Körperhaltung möglich. Eine gute Körperhaltung erfordert Muskelspannung. Unsere Wirbelsäule und Gelenke werden durch Muskeln stabilisiert. Dabei ist es auch wichtig, dass stets die Gegenspieler (Synergisten und Antagonisten), also Beuge- und Streckmuskulatur bzw. die Bauch- und Rückenmuskulatur gleichermaßen gut entwickelt sind, um muskuläre Dysbalancen und somit Verletzungen und Fehlbelastungen zu vermeiden.

Bewegung und Mobilität

Jede noch so kleine Bewegung braucht Muskelarbeit und damit Muskulatur. Je besser unsere Muskulatur entwickelt ist, umso besser ist dies für unsere allgemeine und natürlich auch sportartspezifische Leistungsfähigkeit. Wie rasch sich Muskulatur bei Nichtgebrauch zurückbildet, kennt jeder Sportler nach einer verletzungsbedingten Ruhigstellung. Nach der Entfernung des Gipses bzw. der Orthese ist die betroffene Extremität sicht- und messbar durch den ruhebedingten Muskelschwund dünner.

Kohlenhydratspeicher

Fette können wir, oft zu unserem Leidwesen, sehr gut im Unterhautfestgewebe speichern; die für die Muskelarbeit viel wichtigeren Kohlehydrate dagegen nur in der Skelettmuskulatur und in der Leber. Für die Energiebereitstellung für die Muskelarbeit sind Kohlenhydrate zwingend erforderlich. Ohne ausreichende Kohlenhydrate kommt es zum sogenannten „Hungerast“, verbunden mit einem plötzliche Leistungseinbruch des Sportlers. Der Ausdauersportler kann anpassungsbedingt mehr Kohlenhydrate in Form von Glukogen in seiner Skelettmuskulatur und Leber speichern. Bei Langzeitbelastungen reichen aber auch diese größeren Glukogenspeicher nicht aus, so dass zwingend während des Wettkampfes, aber auch im Training Kohlenhydrate zugeführt werden müssen (z.B. beim Marathonlauf, bei längeren Triathlon-, Rad- oder Skilanglaufdistanzen).

Thermoregulation

Bei der Muskelarbeit können wir etwa ein Drittel in kinetische Energie umsetzen, zwei Drittel gehen als Wärmeenergie „verloren“. Ein echter Verlust ist dies allerdings nicht, da unser Körper ja eine konstante Körpertemperatur von 36-37°C aufrechterhalten muss. Diese Energie wird natürlich auch dafür genutzt. Deshalb friert man bei längerem Stillsitzen schneller und kann sich aber durch wenige Kniebeugen o.ä. rasch wieder aufwärmen.

Hormonregulation und Immunmodulation

Bei intensiver Muskelarbeit werden wichtige Enzyme und Hormone freigesetzt. Erst seit wenigen Jahren wissen wir, dass unsere Muskeln ein wunderbares Medizinschränkchen sind. Ein stark arbeitender Muskel produziert Botenstoffe, die den ganzen Körper positiv beeinflussen. Es gibt vermutlich Hunderte solcher Botenstoffe. Die Wirkung von mehr als einem Dutzend ist mittlerweile bekannt. So steigt beispielweise das Interleukin-6 bei Muskelarbeit um das Hundertfache an. Dieser Stoff ist u.a. eine Signalsubstanz für das Immunsystems und sorgt somit für eine bessere Krankheitsabwehr. Wissenschaftler nennen inzwischen wegen dieser Botenstoffe die Muskeln auch die Motoren des Lebens. Aus den genannten Gründen ist Sport nicht nur bei der Prävention, sondern auch bei der Therapie bzw. Rehabilitation von Krankheiten sehr wichtig und wirksam. Bei vielen Erkrankungen wirkt der Sport wie ein Medikament und kann sogar Medikamente ersetzen oder deren Dosierung reduzieren. So ist Sport schon sehr lange eine wichtige Säule u.a. bei der Prävention und Therapie des Diabetes mellitus Typ 1 und 2.

Psychische Stabilisierung und Stressabbau

Körperliche Bewegung und damit Muskelarbeit hilft sehr effektiv beim Stressabbau. Schon während, aber auch noch nach der Sporteinheit werden Endorphine, sogenannte Wohlfühlhormone, wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin, freigesetzt. So ist beispielsweise eine Joggingrunde ein echter Stimmungsaufheller. Nach sportlichen Belastungen ist aber auch die Schlafqualität verbessert. Und unser Schlaf ist sehr wichtig für die Regeneration und psychische Stabilisierung. Jeder hat sicher schon selbst verspürt, dass bei Schlafmangel die Stimmung schlechter ist als im ausgeschlafenen Zustand.

Und last but not least führt regelmäßiges Muskeltraining auch zu einem verbesserten Körperbild. Schon die griechischen und römischen Skulpturen und Statuen der Antike zeigen die Schönheit einer harmonisch ausgeprägten Skelettmuskulatur. So dürfte auch heute ein Sportler mit seinem Körperbild zufriedener sein als ein Couch-Potato.

Dr. med. Ina Ueberschär,
Chefärztin des MEDIAN Sportmedizinischen Instituts Leipzig