Am heutigen Abend hätten für Dich die Olympischen Spiele 2020 in Tokio mit der Eröffnungsfeier ihren Auftakt genommen. Stattdessen steht nun eine Wildwasser-Trainingseinheit im Kanupark Markkleeberg an. Bist Du traurig?
Ja, schon. Ich hätte das sehr, sehr gern miterlebt und hoffe, dass die Spiele nächstes Jahr stattfinden können. Aber unter den gegebenen Umständen war es meiner Meinung nach die richtige Entscheidung, dass man Olympia verschoben hat. Deswegen bin ich froh, dass wir jetzt die Möglichkeit haben, hier zu trainieren – andere Nationen dürfen das noch immer nicht. Darum nutze ich das einfach, versuche nicht daran zu denken, was gewesen wäre, sondern lebe im Hier und Jetzt.
Wie habt ihr auf die Verschiebung der Spiele reagiert?
Wir haben erst einmal dreieinhalb Wochen Urlaub gemacht, weil wir gar nicht wussten, was wir machen sollen. Wir konnten nicht mehr wirklich trainieren, nur noch zu Hause. Es war auch so, dass unser Bundestrainer Felix Michel gesagt hat, dass es keinen Sinn macht, irgendetwas zu versuchen, sich zu quälen und es macht gar keinen Spaß mehr. Deswegen haben wir uns komplett rausgenommen, vor allem die mentale Entspannung tat sehr gut. Hinterher haben wir uns zusammengesetzt und die neue Saison geplant – auch wenn man kaum etwas planen konnte, weil wir nicht wussten, wann es wieder Wettkämpfe geben wird.
Nun soll Tokio 2020 in einem Jahr stattfinden, die Vorläufe im Damen-C1 sind für den 28. Juli 2021 angesetzt…
Im Endeffekt müssen die Spiele erst einmal stattfinden, um daran teilnehmen zu können. Deswegen habe ich das jetzt noch gar nicht im Kopf. Wir müssen einfach warten, ob und in welchem Rahmen die Spiele ausgetragen werden.
Das Ticket hast Du schon in der Tasche, das kann Dir keiner nehmen.
Ja. Alle, die sich bislang qualifiziert hatten, bleiben auch qualifiziert, weil es trotz der Verschiebung immer noch Tokio 2020 ist. Ehrlicherweise wäre es auch sehr schwer geworden, noch einmal eine so faire Olympiaquali wie im vergangenen Jahr auszufahren. Somit haben wir jetzt im Sommer die Sicherheit, voll durchtrainieren zu können. Auch die Wettkämpfe, falls irgendwann welche anstehen, haben für uns jetzt nicht die ganz große Relevanz. Wir konzentrieren uns auf Olympia.
Du hast im Winter im Trainingslager in Australien Deinen bislang letzten Wettkampf bestritten. Nationale Qualifikationen, Europameisterschaften und Weltcups, auch das Finale in Markkleeberg, wurden allesamt abgesagt. Wie sehr fehlen Dir die Wettbewerbe und Reisen?
Aktuell freue ich mich, dass ich einfach mal zu Hause sein und die Familie besuchen kann, auch wenn das mittlerweile nicht mehr ganz so oft ist, weil der Trainingsumfang doch sehr in die Höhe gegangen ist. Wir machen fast mehr als im Wintertraining. Aber man merkt schon, dass man immer dasselbe trainiert und sich dadurch auch schlechte Einheiten häufen, da wäre ein Ortswechsel zwischendurch mental günstiger. Unter den gegebenen Umständen bin ich ganz froh, dass derzeit nicht viele Wettkämpfe stattfinden, weil ich glaube, dass sie nicht so fair wären und auch nicht so aussagekräftig. Einige Nationen, wie die Briten und Slowaken, haben schon die Teilnahme an Wettkämpfen generell abgesagt. Ich habe mich damit abgefunden, dass es in dieser Saison nicht mehr wirklich viele Wettkämpfe gibt.
Mitte September soll zumindest die EM in Prag nachgeholt werden. Als amtierende Weltmeisterin gehst Du dort erstmals bei einer Meisterschaft der Elite als Topfavoritin an den Start. Last oder Motivation?
Schon auch ein bisschen Last, weil ich dort auf jeden Fall zeigen möchte, was ich den Sommer über dazugelernt habe und einfach beweisen möchte, dass mit mir zu rechnen ist – auch im nächsten Jahr. Ich glaube, dass das so eine Gefahr ist, weil es einer von wenigen Wettkämpfe ist, wo man sich zeigen kann. Da will man natürlich alles raushauen. Wenn man sich zu sehr darauf festsetzt, ist man im Kopf nicht frei und kann nicht mehr gut paddeln. Deswegen will ich die EM als Richtwert nutzen, schauen, was die anderen gerade draufhaben und versuche, mir nicht den krassen Stress zu machen. Denn im Endeffekt bringt mir der Wettkampf nichts. Wenn ich dort Europameisterin werde, ist das schön. Aber wenn schon zwei Nationen nicht am Start sind, ist es auch kein fairer Wettbewerb mehr, weil allein die Briten zwei, drei gute Boote stellen, die fehlen. Wenn ich dort gewinne, weiß ich: OK, es hätten noch zwei, drei vor mir sein können.
Welche Rolle spielt die Corona-Pandemie, wenn sich die Kanu-Slalom-Familie aus aller Herren Länder wieder zu Wettkämpfen trifft. Behält man das Risiko ständig im Hinterkopf?
Man hat durch die Länge der Pandemie schon gelernt, damit zu leben. Einige Nationen haben die Regeln sehr weit gelockert, wie eben die Tschechen, für die nur noch in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maskenpflicht gilt. Man wird das schon im Hinterkopf haben. Es ist nicht so wie immer – weil nicht alle dabei sind, es nicht raus ist, ob es beispielsweise Nationenzelte geben wird, und ob und wie viele Zuschauer zugelassen werden. Ich freue mich auf den Wettkampf, aber es wird trotzdem irgendwie komisch bleiben.
Du hast im vergangenen Jahr nicht nur den WM-Titel geholt, sondern parallel auch dein Abi mit einem Schnitt von 1,1 gemacht, der DOSB wählte Dich zu Deutschlands Eliteschülerin des Jahres. Wie geht es beruflich für Dich weiter?
Gute Frage! Da bin ich mir noch nicht sicher. Ich möchte schon irgendwann studieren, die Frage ist nur was. Aktuell bin ich bei Ernährungswissenschaften, und das eventuell auch als Fernstudium. Das Problem ist nur, was ich danach beruflich machen kann. Privat interessiert mich das Thema schon sehr, es könnte mich auch sportlich weiter voranbringen. Ich weiß heute auch nicht so ganz, wann ich mit dem Studium anfangen möchte. Den kommenden Winter trainieren wir voll durch. Was ist, wenn es im kommenden Jahr heißt, dass Olympia um ein weiteres Jahr verschoben ist? Dann ist es schon 2022. Selbst wenn es 2022 stattfindet, dann ist 2023 schon wieder eine Olympiavorbereitung und die Qualifikation für Olympia 2024.
Du warst als Juniorin international schon sehr erfolgreich, wurdest 2017 als Talent des Jahres in Sachsen geehrt. Mit gerade einmal 20 stehst du in Deiner Sportkarriere aber selbst als Weltmeisterin immer noch ganz am Anfang. Welche Ziele steckst Du Dir für die Zukunft?
Auf jeden Fall eine Olympiamedaille – eigentlich ist das Ziel auch, ganz oben zu stehen. Das wünsche ich mir schon. Natürlich habe ich den Weltmeistertitel, aber den möchte ich auch gerne verteidigen – einmal ist keinmal, sagt man ja immer so schön. Eine EM-Medaille fehlt mir natürlich auch noch, da ging ich bislang immer leer aus. Den Weltcup-Gesamtsieg habe ich auch noch nicht. Also es gibt da noch so eine Liste, was ich erreichen möchte. Damit einher geht, dass man sich auch technisch und fahrerisch immer verbessern kann, da habe ich auf jeden Fall noch einiges offen. Ich glaube, da ist niemand irgendwann am Ziel. Es müssen also nicht immer nur die Medaillen sein.